Die uns das Fürchten lehren

Hubertus J. Schwarz_Exzess Goa Party_Kampangel_2014_2Hubertus J. Schwarz / Exzess Goa Party / 2014

HGich.T und God’s Entertainment funktionieren als Theateranarchisten und Medienverweigerer. Beim Live-Art-Festival auf Kampnagel führten sie in den geplanten Exzess.

Sie liegen auf dem Boden, in Lachen aus verschüttetem Bier, Schweiß und Neonfarben, die Kinder des Wahnsinns. Wie die Schmeißfliegen im Netz der Spinne strampeln die Besucher des diesjährigen Live Art Festivals mit den Beinen und bleiben doch gefangen. In dem verkrampften Versuch das Bewusstsein zu erweitern, sind sie blindlinks in die Falle des Schwarzen Witwers geflogen. Der Exzess auf Kampnagel hat seinen Zenit überschritten und feiert sich selbstherrlich als quasi-gnostische Glaubenslehre über Sieg und Niederlage.

„Verschwende dich, deine Rente oder was auch immer“, so schreit es einem aus dem Programm des sechsten Live-Art-Festivals entgegen. Unter dem Motto „Excess Yourself“ prallen die beiden Performance Kollektive HGich.T und God’s Entertainment aufeinander. Sie wollen mit ihrer Co-Produktion nicht weniger als ein Gegenmodell zum Neuen Menschen entwerfen. Der Neue Mensch, für die Nationalsozialisten war er der rassenreine Arier, für die Kommunisten eine gleichgeschaltete Drohne destilliert durch die Rote Revolution ­– ein Arbeitstier und kaltblütiger Krieger, wie Ernst Jünger ihn stilisierte.

Weiterlesen

Wenn Menschen mit den Bäumen kuscheln

Bildschirmfoto 2014-06-19 um 23.25.09© Hubertus J. Schwarz / Gespräche im Avant-Garden / 2014

Ekstase und Chaos regieren auf Kampangel. Das diesjährige Live Art Festival steht unter dem Motto „Excess Yourself!“. Aber wo Schatten ist, gibt es immer auch Licht. In diesem Fall bewahren die Raumkünstler des Kollektivs REFUGIUM einen Hort der Ruhe und Entspannung in dem sich die Festivalbesucher von den Strapazen erholen sollen. Hier gibt es die Möglichkeit zum Earthing, einer Pflanzenmeditation oder der Austreibung böser Dschinnis durch einen Azubi-Schamanen im Wolfspelz. Biljana Milkov erzählt von Orgoniten und Tripgängern, die mit den Bäumen kuscheln.

Ihr habt hier übernachtet, wie war’s?
Biljana: Interessant…

Was heißt das?
Es hat geregnet um acht Uhr morgens. Das war laut und das Wasser hat sich hier über dem Zelt angesammelt. Aber es ging, alles in allem.

Wie ist denn die Resonanz von den Leuten, die euch hier im Avantgarden besuchen kommen?
Wir haben ein ganz unterschiedliches Publikum. Theatergäste, die genießen das hier total, machen Salongespräche und quatschen über Kunst. Und danach hatten wir gestern diese Goa-Menschen, das ist schon Klinikum mäßig. Die müssen erst einmal herunterkommen, relaxen, chillen. Die sind ganz aggressiv aufgeladen.

Weiterlesen

Hinter den Kulissen – Als Techniker auf dem Live Art Festival

Bildschirmfoto 2014-06-17 um 18.22.56© Hubertus J. Schwarz / Hinter den Kulissen / 2014

Sie sind die guten Geister hinter einer perfekten Performance: Die Techniker. Wie von Zauberhand tauchen sie die Bühne in buntes Licht, arrangieren die Shows und sorgen dafür, dass die Besucher nur Ausgepegeltes auf die Ohren bekommen. Wir haben mit Lichtmann Lars Rubarth gesprochen, der uns nicht nur einen Einblick in seinen Festival-Alltag gibt, sondern gemeinsam mit uns einen weiteren Schritt in Richtung Performance-Welt geht.

Hallo Lars, schön dass du Zeit für uns gefunden hast. Wir möchten auf diesem Festival alle Ebenen der Beteiligten abdecken, von den Künstlern über die Leute, die hinter der Bühne arbeiten, und ohne Techniker geht ja bekanntlich nichts. Deswegen erklär uns doch einmal, was dein Job hier auf dem LiveArt-Festival ist.

Lars: Mein Job beinhaltet sowohl Vorarbeit als auch Betreuung. Es war klar, welcher Techniker während der Woche in welcher Halle arbeiten würde, wenn man frühzeitig Wünsche einträgt, kann man sich das sogar teilweise aussuchen. Dann tritt man im Vorwege mit den Künstlern in Kontakt, um herauszufinden, was die haben wollen, damit man am Ende nicht dasteht und nicht genau weiß, was die machen. Das heißt, Absprachen treffen. Auf der Bühne erarbeiten wir später mit dem Equipment, das wir vor Ort haben, die Show, um alle Wünsche möglich zu machen. Mein Bereich ist in dem Fall Licht gewesen. Gemeinsam mit einer zugereisten Lichtdesignerin habe ich die Show entwickelt und hier vor Ort programmiert.

Weiterlesen

Drei Monate Deutschland – dann war das Geld weg

Der New Yorker Performance-Künstler Neal Medlyn gilt als „Paris Hilton der Performance-Szene“. Im Interview mit Jan Werum spricht der preisgekrönte Künstler über seine zwei Jobs, die ihm sein Leben im teuren New York finanzieren, seine Zeit in Berlin und seine Performance, die er als wahres Feuerwerk beschreibt.

Sein oder nicht sein – Die ewige Suche nach der richtigen Antwort

Attacke_Kampnagel_arielefraimashbel© Carla Reveland / Attack / 2014

Eine internationale Performer-Gruppe, Musiker, ein unsichtbarer Chor und ein Kartoffelsack. So wurde vorab das Ensemble beschrieben, das der israelische Künstler Ariel Efraim Ashbel am Donnerstagabend nutzte, um seine Zuschauer in die Welt der Anthropologie zu entführen. Dass diese Welt nicht staubtrocken und langweilig sein würde, war bei einer Live-Performance zu erwarten. Stattdessen erstreckte sich ein wahrer Urwald aus Möglichkeiten auf der Kampnagel-Bühne; belehrend, wandelbar und vor allem eines: vielseitig. Ashbel zeigt eindrucksvoll, wie er mit einem Paradoxon den Abend füllen kann.

Es ist ein Auftritt der fantastischen Fünf als die Performer wortlos auf die Bühne treten. Stereotypen einer modernen Welt: Das schwangere Schneewittchen gesellt sich zur brünetten Lolita-Lady-Gaga, ein tätowierter Robinson Cruseo beäugt eine junge Jamie Lee Curtis im Butler-Gewand und auch ein drolliger Vetter-It-Verschnitt tapst durch eine Umgebung voller bauklotzartiger Gebilde. Die moderne Addams Family tastet sich langsam an das heran, was Ihnen gegeben ist. Und so vollbringt sie eine Reise vom orientierungslosen Naturzustand über die Götzenanbetung bis zur Neuzeit voller philosophischer Ansätze. Von Hegel bis Oscar Wilde.

Weiterlesen

Ein Texaner, ein Bär und Britney Spears

DSC_0145© Jan Werum / Neal Medlyn auf dem Live Art Festival / 2014

Gesellschaftskritik getarnt als Pop-Konzert: Der preisgekrönte Performance-Künstler Neal Medlyn zieht auf Kampgnagel alle Register und beweist, warum er einer der Höhepunkte des Live Art Festivals ist.

Schräge, traurige Klaviertöne erfüllen die gut besuchte Halle. Es dauert einige Sekunden, bis man die Töne als Britney Spears Song „Everytime“ identifiziert. Der New Yorker Performance-Star Neil Medlyn steht unauffällig, in ein weißes Nachthemd gekleidet, neben der Bühne. Soweit wie in Spears Videoclip zu „Everytime“ kommt es nicht (sie verübte Suizid in der Badewanne). Die Stimmung ist gleich zu Anfang auf dem Tiefpunkt, als Medlyn das Publikum auffordert an eine Zahl zwischen Eins und Zehn zu denken. „Ist es die Drei?“ Kopfschütteln im Publikum. „See y´all I am magic“ ruft Medlyn und freut sich wie eine Teenie-Göre, die zwei neue Likes auf ihr Profilbild bekommen hat.

Weiterlesen

“I am pure and simple and I don’t have anything inside me”

Neal-Medlyn-Nackt-2© Steffen Peters / Neal Medlyn unzensiert / 2014

„How many  giiiiiirls are here tonight?“ schreit der New Yorker Performer Neal Medlyn in seiner vierten Show beim Live-Art-Festival in das Mikrofon. Ein Ausschnitt aus Britney Spears Lied “Brave New Girl”, die in seinen Pop-Star-Series als Medienphänomen analysiert und performant wird.

Der New Yorker Performerkünstler präsentiert seine Arbeiten im Rahmen des Live Art Festivals auf Kampnagel zum ersten Mal in Europa. Dabei steht er in zerissenen Hotpants und zu engem pinken Hannah Montana Shirt  auf der Bühne, fuchtelt mit den Armen und singt Lieder von Miley Cyrus teilweise neu interpretiert, teilweise auch gecovert. Eine gelungene Show, die verdeutlicht wie traurig und einsam das Leben als Hannah Montana sein muss, lebt sie doch das Leben, das ihr Vater Billy Ray Cyrus, hier gespielt von Carmine Covelli, gerne gelebt hätte. Auch Neals Freund Farris Craddock ist im Scheinwerferlicht in Hamburg zu sehen.

Neal Medlyn beschäftigt sich in dieser Show mit den überlagernden Persönlichkeiten und Identitäten von Hannah Montana und Miley Cyrus. Hannah Montana ist die Hauptfigur aus der gleichnamigen Walt Disney Fernsehserie und wird von Miley Cyrus gespielt. Hannah führt hier ein Doppelleben: Währen sie morgens eine ganz normale Schülerin ist, verwandelt sie sich abends mit Hilfe einer blonden Perücke in eine erfolgreiche Popsängerin. Miley Cyrus, Alter Ego von Hannah, einst Teenager- Star und Idol einer ganzen Generation, ist heute mit knapp 21 primär Popstar auf der schwierigen Suche nach sich selbst, die mehr über Skandale als über ihre Musik in die Medien rückt.

Weiterlesen

Pure Hingabe. Pure Freude.

Giselle – A spiritual Cyberpunk Ballet

giselle_appel© Kristina Appel / Giselle als Cyberpunk Ballett / 2014

In der Inszenierung von Halla Ólafsdóttir und John Moström wird der Ballett-Klassiker „Giselle“ zu einem modernen, inspirierenden und erhebenden Erlebnis. Als Vorlage dient die Verfilmung des Stückes von Hugo Niebeling aus dem Jahr 1970. Die Inspiration brachte ein ambivalentes Verhältnis zum klassischen Ballett. Das Ergebnis ist ein beeindruckendes Zusammenspiel von Kritik und Respekt für eine alte Kunst und gleichermaßen ein Loblied auf die moderne Performance. Prädikat: Wertvoll.

Die Eröffnungsmusik ertönt. Fünfundzwanzig Tänzer bewegen sich durch den Raum. Frauen, Männer, Alte, Junge, Anfänger, Fortgeschrittene. Hochkonzentriert, voller Spannung; aber nicht angespannt, sondern leicht und elegant. Die Tänzer blicken auf die Projektion der Verfilmung von „Giselle“ von Niebeling, der hinter dem Publikum abgespielt wird. Was sich nun entfaltet, ist wohl nur so zu beschreiben: Alle tanzen alles. Die Tänzer verkörpern den Film. Die Augen immer auf die Projektion gerichtet, tanzt jeder seine Rollen. Giselle, Hilarion, Albrecht, Türen, Dorfbewohner, ein Mühlrad… Was sich chaotisch anhören mag ist geordnet, koordiniert und auf bezaubernde Weise faszinierend. Die Tänzer wechseln ihre Rollen ständig. Finden neue Plätze, neue Bewegungen, verkörpern mal Giselle, mal ihre Mutter, mal eine Bank. Das geschieht so flüssig, als flüsterte ihnen jemand die Anweisungen ins Ohr. Dabei folgen sie der Choreographie des Films. Eine eklektische Mischung aus Pantomime, Ballett und Modern Dance.

Weiterlesen

geheimagentur Ende – Wir schmeißen zusammen hin!

© Nina Pressentin© Nina Pressentin / Geheimagentur auf Kampnagel / 2014

Sie beschweren sich übers Projektemachen. Und sie beschweren sich über das Prinzip des Projektmachens. Prekär, ohne Sicherheiten. Ein Projekt jagt das nächste, manche werden nie verwirklicht. Die meisten sogar, wie das Hamburger Künstlerkollektiv „geheimagentur“ kritisch feststellt. Das Performance-Netzwerk hat nach elf Jahren Projektemacherei die Nase voll von Projekten. So wird es höchste Zeit sie alle mittels Projektoren performativ an die Wand zu werfen und etwas völlig Neues zu wagen. In ihrem neuesten Stück verhandeln sie den „Essay upon Projects“ von Daniel Defoe aus dem Jahr 1697 neu. 

Wenn das Publikum den Künstlern schon auf der Bühne beim Umziehen zusehen darf, dann ist diese Performance ein derber Gesamteindruck, der mit Wucht von allen vier Wänden, bespielt mit Projektoren, auf das Publikum einprasselt. Da weiß man schon, hier wird kein klassisches Theater gespielt, hier wird performed. Das Performancekollektiv spielt sich diesmal selbst. Sie spielen Projektemacher in barocker Kleidung. Sie sind soeben in das Jahr 1697 gereist, in das Jahr von Daniel Defoe und doch bleiben sie im Hier und Jetzt und gehen sogleich auch in eine Zukunft frei von Projekten, aber mit neuen Herausforderungen. Die Inszenierung des „Essays upon Projects“ ist das geworden, was Daniel Defoe zu Folge nie hätte sein können, das erfolgreiche Ende eines Projektes.
Die geheimagentur befasst sich als Künstlerkollektiv seit elf Jahren mit Projekten. Ihre Werke haben alle die Gemeinsamkeit, dass sie, wenn auch nur kurzfristig, dem Publikum neue Wege abseits des Kapitalismus aufzeigen. Ihr erklärtes Ziel war seit jeher nicht wie so viele auf den Fehlern und Schwächen dieser Wirtschaftsform herumzureiten, sondern funktionierende Alternativen zu finden. Sie machten Projekte wie „die Schwarzbank“, mit der sie in Oberhausen die neue Währung „Kohle“ einführten oder den „Unwahrscheinlichkeitsdrive“, für den sie eine Stretch-Limousine zweckentfremdeten. Die Inszenierung ist ein Rückblick, ein Ausblick und die nachträgliche Erklärung, was das alles mit Daniel Defoe zu tun hatte.

Weiterlesen

Die ganze Wahrheit

Kampnagel-Die-Ganze-Wahrheit© Steffen Peters / Hubertus J. Schwarz / Die Ganze Wahrheit auf Kampnagel / 2014

Die Pop Star Series sind vorüber, die Toten vom Schlachtfeld der Bühne gekarrt. Neal Medlyn ging über drei Tage in die Vollen – eine Vorschau.

Der queere New Yorker Performance-Künstler gilt als Paris Hilton der Performance-Szene. Er imitiert in seinen außergewöhnlichen Shows verschiedene Pop-Star-Persönlichkeiten, ohne dabei seine eigene Identität zu verlieren. Selbst beschreibt er seine Performance Konzerte als „bomb ass music based extravaganza“. 2010 gewann Medlyn den Dance and Performance „Bessier Award“ als bester Künstler und arbeitete bereits mit Künstlern wie „Beastie Boy Ad Rock“ zusammen. Die „Pop Star Series 1-6“ feiern auf Kampnagel Europapremiere.

Drei Tage sind vorüber, Performance-Künstler Neal Medlyn hat uns das Fürchten gelehrt, das Staunen und vielleicht auch eine Portion Demut vor der Gewalt des Pop. Ob die Perforamce gelungen ist, dass wissen nur er und sein Kumpel Mr. Bear. Für alle, die dieses Feuerwerk der Groteske verpasst haben oder denen es nach einer Rückschau gelüstet, die vollständige Rezension erscheint sehr bald und nur hier!

Weiterlesen